Frisch an der Ostsee angesiedelt

„Das Meer ist dein Spiegel. Im ewigen Hin und Her seiner Wogen betrachtest du deine Seele.“ Ich kann Charles Baudelaire nur zustimmen. Schon bei unseren ersten Besuchen spürte ich meine magische „Überdosis Ostsee“, die mich zum Bleiben und Wiederkommen verführte.

Dann waren endlich alle Weichen gestellt, der größte Teil unserer Sachen bereits nach Börgerende transportiert und ich sollte meine Zelte im Münsterland endgültig abbrechen. Im nunmehr mit Ausnahme von Küche und Schlafraum leeren Haus voller Hall hielt mich nichts mehr.
Als morgens die Handwerker auch noch die Türen ausbauten, um sie in die Lackiererei zu bringen, packte ich den 20 Jahre alten 2 CV – die Ente von Citreon – bis unters Dach voll, holte unseren Hund beim Schwager ab und fuhr weit vor der vereinbarten Zeit gen Nordosten.


Oktober, kühler Nieselregen. Ein Labrador-Mischling auf der Rückbank.
Ich merkte schnell, die 470 Kilometer werden lang. Die Scheiben beschlugen – ich musste mir per Hand helfen. Mehr als Tempo 120, aber das auch nur zum Überholen, waren nicht drin. Dennoch, es rollte, allen Baustellen auf der A1 zum Trotz. Weit vor der Raststätte Hamburg-Stillhorn fiel mein Radio aus. Hatte ich im Beifahrer-Fußraum mit all dem Gepäck ein Kabel zerfetzt? Egal, es geht auch ohne Radio, mehr als die Hälfte der Strecke war geschafft. Kurz hinter der Raststätte nahm die gute Ente den Druck vom Gaspedal nicht mehr wirklich an, die Leistung fiel ab. Beide Richtungen laufen dreispurig, kein Seitenstreifen, aber - Glück im Unglück - ich entdeckte eine Pannenbucht und konnte sie mit letztem Antrieb erreichen.


Was folgte war schrecklich: Mein Mann, der große Enten-Schrauber, wusste per Handy-Diagnose keinen Rat, also der ADAC. Warten hinter der Leitplanke. Der Regen wurde heftiger, der Hund blieb ruhig. Würde der ADAC-Mann mit der Ente klar kommen? Ich schickte Stoßgebete zum Himmel. Ein wundervoller, natürlich älterer, ADAC-Mann rettet mich, die Ente und Hund Findus. Er ersetzte das defekte Kabel zur Lichtmaschine und nach eineinhalbstündiger Zwangspause ging die Fahrt weiter.

 

Glücklich parkte ich mit dem letzten Abendlicht in Börgerende ein. Meine lieben Nachbarn hatten ein Leckerli für Findus und ein offenes Ohr für mich. Angelika in der Pizzeria am Zeltplatz verwöhnte mich mit einem gut gezapften Rostocker, meiner Lieblingspizza und einem netten Gespräch. Der Stress fiel ab und langsam wuchs die Freude. Über den Deich spazierte ich zurück, richtete mir mein Bett und Findus sein Lager, telefonierte ein letztes Mal an diesem Tag mit meinem Gatten und schlief mit der wundervollen Gewissheit ein: Ich bin am Meer angekommen.

Dass ich im Medienzeitalter vom Rest der Welt abgekoppelt war, dämmerte mir erst am nächsten Tag, aber das ist eine neue Geschichte.

Hildegard Selle

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Kommentare: 7
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